ein Bericht von Louis Cho

Nach dem Frühstück und dem Abschied vom Hanok-Besitzer stiegen wir in einen gemieteten Privatbus ein. Der erste Programmpunkt auf der Agenda war der Memorial Park des Gwangju-Aufstandes. Der Park ist sowohl von Tragik, aber auch von Optimismus geprägt. In einem unterirdischen Raum unter dem eigentlichen Denkmal sind alle Namen der Personen aufgelistet, die während des Aufstands ihr Leben ließen. Außerdem steht hier eine Statue, die dem Betrachter schier das Herz zerreißt. Eine Pieta, also eine Mutter, die ihr getötetes Kind weinend in den Armen hält. An anderer Stelle werden die Opfer des Aufstands ganz bewusst nicht als „Opfer“, sondern als „Helden der Demokratie“ der Demokratie bezeichnet.

Weiter außerhalb der Stadtliegt ein, aus meiner Sicht, ganz einzigartiger Friedhof: „Mangwol-dong“. Dieser Ort ist nicht nur ein Friedhof, sondern auch eine gigantische Gedenkstätte für den Gwangju-Aufstand. Ein hoher Turm, ein Grabstein für jede verstorbene Person und ein Schrein für alle vermissten Personen fallen ins Auge. Auf den Grabsteinen findet sich jede Person auch eine eingravierte, persönliche Nachricht seiner Angehörigen. Und wieder, auch hier, wird bei aller Tragik der Geschehnisse auch  Optimismus verbreitet: Bei aller Trauer um die Getöteten, unter denen sich auch Schüler befanden, aber auch Vindikation, denn das Ziel des Aufstandes, nämlich eine demokratische Republik Korea, wurde ja letztendlich erreicht und wäre ohne das ultimative Opfer dieser Familien wohl nicht möglich gewesen, auch wenn es nach dem Aufstand noch einige Zeit dauerte. So gedachte ich hier nicht nur der Opfer des Gwangju-Aufstands, sondern auch all der Opfer aller anderen Demokratie-Bewegungen, von denen allzu viele niemals durch ein Ehrenmahl geehrt werden dürften.

Ich hoffe, dass dieser Vers eines Gedichts von Kim Jun-tae (아아 광주여! 우리나라의 십자가여!), das an der Gedenkstätte auf einer riesigen Metallplatte geschrieben steht, diese Dualität der Emotionen darstellt:

아아, 광주여 무등산이여
죽음과 죽음 사이에
피눈물을 흘리는
우리들의 영원한 청춘의 도시여

Ahh, Gwangju, Mudeungsan*!
Zwischen Tod und Tod
Unsere ewige Stadt der Jugend
Die Tränen von Blut weint

*Mudeungsan ist ein Berg in der Nähe von Gwangju

Der Bus fuhr uns direkt zum KTX nach Seoul.  Dort bereiteten wir uns auf einen Besuch in der Residenz des deutschen Botschafters in Seoul, Michael Reiffenstuel, vor. Mit im führten wir ein Interview für unseren Dokumentationsfilm. Damit endete dann auch unser offizielles Programm in Korea, und wir flogen nach und nach nach Deutschland zurück.

Die Studienreise war für mich ein unvergessliches Erlebnis. Innerhalb von einer Woche haben wir einen umfassenden Blick auf die Erinnerungskultur der Demokratie in der Republik Korea werfen dürfen, den ich mir allein auch in mehreren Monaten niemals hätte verschaffen können. Ich habe gesehen, wie sich die Erinnerungskultur in Korea deutlich von der deutschen unterscheidet. Einige Erinnerungsorte waren jingoistisch, andere politisch stark aufgeladen. Alle waren aus meiner Sicht stark emotional geprägt. Dies widerspiegelt die stark polarisierte, politische und unglaublich lebendige Natur der Erinnerungsorte der südkoreanischen Unabhängigkeit, Demokratie und Freiheit. Wir haben zahlreiche Begegnungen mit Experten aus der Forschung, aber auch mit jungen Menschen unseres Alters gehabt. Noch ist das Projekt nicht ganz vollendet: eine Dokumentation in schriftlicher Form, aber auch im Videoformat sind in der Mache und werden bei unserer Abschluss-Veranstaltung in der Botschaft der Republik Korea am 09.12.2022 offiziell vorgestellt. Aber eben diesen beiden Dokumentationen unserer Reise bleibt unserer Reisegruppe auch noch eine weitere Gewissheit: „Team Nancy is forever!“

Ich freue mich auf die weitere Auseinandersetzung mit der koreanischen Erinnerungskultur und bedanke mich beim Netzwerk Junge Generation Deutschland-Korea sowie dem BMFSFJ, dass sie dieses Projekt ermöglichten. Insbesondere bedanke ich mich bei unserem Orga-Team: Johannes Klausa, Ben van Treek und Andrea Koschan für ihre Leiden und Leidenschaft.