(Von Yankı Yılmaz)
Kein Wetter eignet sich besser für Politik als Regenwetter. An einem regnerischen Mittwochmorgen, an dem wir uns als Delegation bereits an die terminlichen Sprints in der Seouler Innenstadt gewöhnt hatten, begaben wir uns in die Nähe der koreanischen Nationalversammlung. Mit schwarzen Regen-schirmen gewappnet und in Anzügen gekleidet, marschierten wir als ausländische Gruppe – szenisch ähnlich wie in einem Agentenfilm – in Richtung des politischen Mittelpunkts Südkoreas.
Nach der obligatorischen Sicherheitskontrolle und einem kurzen Staunen über die Einrichtung, betraten wir das Ŭiwŏnhoegwan-Gebäude neben der Nationalversammlung, das viele Sitzungssäle beherbergt. Lee Sang-min kam kurz nach uns an, begleitet von Assistenten, die sich rührend um sein Wohlergehen kümmerten – äußerst professionell. Ich war besonders nervös, da nun meine Koreanischkenntnisse zum Einsatz kamen, und das Risiko, die falsche Höflichkeitsform zu verwenden, hoch war. Zum Glück vermied ich diesen Fehler. Wahrscheinlich wäre jeder in Anwesenheit eines Parlamentsmitglieds nervös, unabhängig von den Sprachkenntnissen. Da Lee Sang-min jedoch fließend Koreanisch sprach, war unsere Delegation auf die detaillierte, gut strukturierte und fast schon simultandolmetscherreife Übersetzung von Lee Mu-hong angewiesen.
Lee Sang-min ist Mitglied der Democratic Party of Korea (DPK), einer sozialliberalen Partei, die mit knapp 56% der gesamten Sitze die Opposition im Parlament anführt. In der vorherigen Legislaturperiode stellte die DPK auch den Präsidenten Moon Jae-in, der eine Annäherungspolitik gegenüber Nordkorea verfolgte. Die Partei engagiert sich haupt-sächlich für progressive politische Ideen und soziale Reformen, darunter soziale Gerechtigkeit, Arbeitsrechte und Umweltschutz.
Nun, setzen wir die Geschichte fort: Wir saßen also in einem Kreis versammelt und waren fast überwältigt, all unsere Fragen thematisch aufeinander abzustimmen, denn es gab so viele spannende Themen zu besprechen. Im Großen und Ganzen kristallisierten sich folgende vier Themenfelder heraus: 1) Migrationspolitik und Zuwanderung, 2) Multilaterale Zusammenarbeit, 3) Bildungs- und Sozialpolitik sowie 4) Arbeitsmarkt und Wirtschaft.
Es wurde schnell klar, dass es Gemeinsamkeiten gibt, aber die Realitäten in beiden Ländern unterschiedlich sind. Insbesondere die Diversität der Zuwanderung und der Migrationshintergrund unterscheiden sich stark. Während Deutschland Menschen aus aller Welt anzieht, sind in Korea hauptsächlich Personen aus anderen asiatischen Ländern vertreten, darunter China, Thailand, Usbekistan und die Mongolei. Ebenso konnten wir die historische Entwicklung der Beziehungen zwischen Korea, Japan und den Vereinigten Staaten im Zuge des Regierungswechsels aufarbeiten. Die Präsidentschaften von Donald Trump und Joe Biden, das Atomprogramm Nordkoreas sowie die Kosten des in Südkorea stationierten amerikanischen Militärs spielten dabei eine bedeutende Rolle. In der aktuellen Regierung unter Präsident Yoon Suk-yeol werden die Beziehungen zu den USA intensiviert, was sich unter anderem durch das Investment von Samsung und Hyundai in die Produktion von Halbleitern und elektronischen Batterien auf amerikanischem Boden zeigt.
Ein Bereich, in dem Deutschland einen Schritt voraus ist, betrifft die staatliche finanzielle Unterstützung der Studierenden. Nicht nur die geringen Semesterbeiträge machen Deutschland als Bildungsstandort attraktiv, sondern hier-zulande gibt es auch das Bundesausbildungsförderungsgesetz (kurz: BAföG) zur Förderung von Bildungsgerechtigkeit und Bildungschancen.
Dieses Gesetz stellt sicher, dass Studierende, die aus bescheidenen Verhältnissen stammen, sich auf ihr Vollzeitstudium konzentrieren können, ohne viele Nebenjobs annehmen zu müssen.
Auf diese Weise werden sie in die Lage versetzt, sich den Umständen eines privilegierten Haushalts anzunähern. Ein solches System existiert in Korea noch nicht. Dort ist es gängig, dass Studierende nebenbei arŭbait’ŭ suchen (aus dem Deutschen „Arbeit“ abgeleitet), um ihre hohen Studiengebühren zu finanzieren. Durch den engen wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Austausch zwischen Deutschland und Korea könnte sich dieses System in Zukunft ändern.
Abschließend diskutierten wir die aktuelle Situation auf dem koreanischen Arbeitsmarkt. Korea arbeitet an Integrationsmaßnahmen für Personen mit Fluchthintergrund. Besonders der Mangel an niedrig qualifizierten Arbeitskräften im Niedriglohnsektor bereitet Sorgen. Dieses Problem steht in engem Zusammenhang mit Visaangelegenheiten, Arbeitssicherheit, sprachlichen Barrieren und vielen anderen Faktoren. Im Interesse des Wirtschaftswachstums und der sozialen Gerechtigkeit müssen diese Fragen dringend angegangen werden.
Trotz der begrenzten Zeit konnten wir einen fruchtbaren Austausch mit vielen Erkenntnissen verzeichnen. Wir danken Lee Sang-min für seine Zeit und sein fortwährendes Engagement.