Projekt Beschreibung

Die Fragen stellte AG 1.3, Arbeitsgruppe „10 Fragen an” des Netzwerks Junge Generation Deutschland-Korea.

Hinweis: Die Äußerungen unserer Interviewpartner stellen deren Meinung dar und spiegeln nicht grundsätzlich die Meinung des Deutsch Koreanischen Forums e.V. oder des Netzwerks Junge Generation Deutschland-Korea wider.

  1. 1. Was war für Sie der Grund, sich mit der Korea-Forschung zu beschäftigen? Was fasziniert Sie heute noch an Ihrem Forschungsgebiet? 

Ich vermute, dass es die Intensität und Andersartigkeit bei gleichzeitiger Verwandtschaft der Probleme und Fragestellungen war, die die Beschäftigung mit diesem Land für mich zunächst so reizvoll machte und bis heute macht. Die koreanische Halbinsel ist geradezu eine Fundgrube für zentrale (sozial-)wissenschaftliche Erkenntnisinteressen. Südkorea ist im Hinblick auf die Frage nach dem Zusammenhang von wirtschaftlicher Entwicklung und Demokratisierung ein einzigartiger Fall, die partei- und wahlpolitische Dynamik ist geradezu überwältigend, und auch der Wandel der politischen Institutionen insgesamt bietet ein reiches Reservoir entweder möglichst ähnlicher oder möglichst unterschiedlicher Fälle. Das Parteiverbot der linksgerichteten Vereinten Progressiven Partei 2014 während der Amtszeit von Südkoreas erster weiblicher Präsidentin Park Geun-hye, die Massendemonstrationen 2016/17, die schließlich zu ihrer Amtsenthebung führten, sowie der politische Umgang mit und die noch nicht absehbaren Folgen der COVID-19-Pandemie in Südkorea sind nur einige Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit. Schließlich bietet die tragische Konstellation zwischen Nord- und Südkorea auf der Halbinsel, in der Region und international weitere Forschungsgegenstände, die für (fast) jede/n (angehende/n) Politikwissenschaftler:in spannender und relevanter nicht sein könnten. Entsprechend fruchtbar ist es, sich mit so vielen unterschiedlichen Themen zu beschäftigen, die auch für andere Regionen der Welt relevant sind. Die Dynamik ist so groß, dass man sich fast wie bei einer Operation am offenen Herzen vorkommt. Da bleibt die Faszination natürlich nicht aus. 

  1. Welche kulturellen Unterschiede fallen Ihnen zwischen Deutschen und Koreaner*innen besonders auf? Was kann man in dieser Hinsicht voneinander lernen? 

Mit zunehmender Globalisierung werden die kulturellen Unterschiede zwischen den nationalen Containern immer geringer. Individuelle Unterschiede gewinnen an Bedeutung. Aber natürlich kann es auch spannend und anregend sein, verallgemeinernd über kulturelle Unterschiede nachzudenken. (Das tue ich hin und wieder sehr gerne, wie hier oder hier.) Am auffälligsten ist vielleicht die Höflichkeit, die sich in zwischenmenschlichen Begegnungen manifestiert. Es ist bekannt, dass in der koreanischen Kultur Strukturen und Hierarchien eine wichtige Rolle spielen und der Respekt gegenüber älteren oder ranghöheren Personen von großer Bedeutung ist. Solange bestimmte hierarchische Positionen nicht missbraucht werden, kann diese Kultur durchaus ihre Vorteile haben. Wer möchte nicht gerne mit Respekt oder Fürsorge behandelt werden? Weniger formalisierte Umgangsformen, wie sie etwa in Deutschland üblich sind, haben natürlich auch ihre Vorteile. Es kann offener und direkter kommuniziert werden. Missverständnisse und Konflikte können natürlich immer auftreten, da sie stark von den Akteuren und den Umständen (Kontext) abhängen. Aber hier können beide Kulturpraktiken voneinander lernen. In Deutschland könnte man ruhig etwas mehr auf die Feinheiten der Höflichkeit achten, ohne gleich den Knigge herunterbeten zu müssen, und in Südkorea täte manchmal etwas weniger Schnörkel gut, um sich nicht unnötig in rhetorischen Pirouetten zu verheddern. Das heißt natürlich nicht, dass diese angebliche Schnörkellosigkeit in der Kommunikation immer zum Erfolg führt, wie die letzten Begegnungen von deutschen und südkoreanischen Nationalmannschaften eindrucksvoll demonstrieren. 

 

Was in Südkorea immer wieder beeindruckt, ist die unglaubliche Dynamik, mit der alles passiert. Gerade im IT-Bereich und bei Großprojekten scheint man in Südkorea viel weniger Berührungsängste zu haben und pragmatisch an die Sache heranzugehen. Das habe ich zum Beispiel erlebt, als ich um die Jahrtausendwende für eine deutsche Unternehmensberatung in Südkorea tätig war, die für die Inbetriebnahme des internationalen Flughafens in Incheon verantwortlich war. Als bei der Eröffnung plötzlich die kilometerlangen Gepäckbänder aus unerfindlichen Gründen nicht mehr funktionierten, wurden kurzerhand hunderte Soldaten abkommandiert, um den Betrieb dennoch aufrecht zu erhalten. Über den großartigen Flughafen an sich brauche ich, glaube ich, nichts zu sagen. Er ist ja bereits weltberühmt und weltbeliebt. In Deutschland dagegen hat man sich mit dem Berliner Flughafen, dem Stuttgarter Bahnhof oder dem Internet längst einen anderen Namen gemacht. Natürlich fallen bei so manchem südkoreanischen Gehobel auch Späne. Manchmal sogar zu viele. Und so kann ich mir hier durchaus vielversprechende Synergieeffekte vorstellen, wenn man die beiden Kulturen in dieser Hinsicht – dynamischer Pragmatismus und gründliches Abwägen – noch mehr zusammenbringen würde.  

  1. Welche Bedeutung hat die Koreaforschung für Deutschland in den letzten 10-15 Jahren gehabt und wie sehen Sie die Zukunft der Koreaforschung? 

Zusammen mit der wachsenden Bedeutung der koreanischen Halbinsel und den damit entsprechend immer wichtiger werdenden Fragen und Themen, hat die Koreaforschung in Deutschland eine zunehmende Bedeutung erlangt und stehen vor einer vielversprechenden, aber noch nicht ausgeschöpften Entwicklung. Die steigende Nachfrage seitens der Studierenden und das wachsende Interesse der Gesellschaft und in Teilen der Politik spiegeln das enorme Potenzial dieses Fachgebiets wider. Trotzdem gibt es immer noch vergleichsweise wenige Standorte, die Koreastudien anbieten und eine angemessene Expertise fördern. Im Vergleich zu anderen Fachbereichen wie Japanologie und Sinologie sind die personellen Ressourcen für die hohe Nachfrage in den Koreastudien noch weit unter den optimalen Bedingungen. Besonders der sozialwissenschaftliche Bereich, der sich mit den Lehr- und Forschungsgegenständen Koreas befasst, bleibt unterentwickelt. 

Um diese Herausforderungen anzugehen, sind zwei Hauptziele von großer Bedeutung. Erstens müssen die derzeitigen Standorte der Koreastudien in Deutschland konsolidiert und sowohl personell als auch institutionell gestärkt werden. Zweitens ist der Ausbau der sozialwissenschaftlichen Koreastudien entscheidend für eine nachhaltige Entwicklung und ein erfolgreiches Wachstum dieses Fachgebiets. Die Verantwortung für eine positive Entwicklung der Koreastudien liegt zum Teil bei den Lehrenden, Forschenden und Studierenden. Dennoch ist die Unterstützung der Entscheidungsträger auf der Ebene der Hochschulleitungen und in der Bildungspolitik unerlässlich, um eine vielversprechende Zukunft für dieses Fachgebiet zu gewährleisten (wie ich auch hier schon argumentiere). 

  1. Was fasziniert Sie an der südkoreanischen Demokratie am meisten und was ist der größte Unterschied zur deutschen Demokratie? 

Die koreanische Demokratie fasziniert mich vor allem aufgrund ihrer bemerkenswerten Entwicklungsgeschichte. Südkorea hat einen beeindruckenden Wandel von einem autoritären Regime zu einer dynamischen Demokratie vollzogen. Die Entschlossenheit und der Einsatz der südkoreanischen Bürger:innen für demokratische Rechte und Freiheiten in den vergangenen Jahrzehnten sind inspirierend und zeugen von einer außergewöhnlichen Energie. Ein weiterer faszinierender Aspekt ist die aktive Beteiligung der jungen Generation an der koreanischen Politik. Junge Menschen engagieren sich zunehmend in politischen Bewegungen und setzen sich für ihre Rechte und Anliegen ein. Diese dynamische politische Kultur spiegelt sich auch in den sozialen Medien wider, in denen politische Diskussionen und Aktivismus eine große Rolle spielen. 

Im Vergleich zur deutschen Demokratie ist der wohl größte Unterschied der koreanischen Demokratie das Präsidialsystem. Während Deutschland ein parlamentarisches System hat, in dem der Bundeskanzler vom Bundestag gewählt wird, wird der südkoreanische Präsident direkt vom Volk gewählt. Dieser Unterschied wirkt sich auf die Machtverteilung und die politischen Entscheidungsprozesse in beiden Ländern aus. Ein weiterer Unterschied besteht in der Parteienlandschaft. In Südkorea gibt es weniger Kontinuität und eine hohe Fluktuation von Parteien und Personal, was die politische Landschaft sehr viel dynamischer macht. Insgesamt haben sowohl die koreanische als auch die deutsche Demokratie ihre spezifischen Stärken und Herausforderungen. Die Beobachtung und der Vergleich dieser Unterschiede können dazu beitragen, die Vielfalt politischer Systeme zu verstehen und daraus zu lernen, wie Demokratien weiterentwickelt und gestärkt werden können. 

 

  1. Wie sehr orientiert sich die koreanische Verfassung an europäischen/deutschen Modellen? Inwiefern unterscheidet sich eventuell die Umsetzung des Rechts zu Deutschland? 

Die koreanische Verfassung hat in ihrer Entwicklung einige Einflüsse europäischer, insbesondere deutscher Modelle erfahren. (Natürlich hat auch der Einfluss der USA Spuren hinterlassen.) So diente die Weimarer Reichsverfassung von 1919 als Grundlage für die erste Verfassung Südkoreas, die 1948 verabschiedet wurde, und es gibt einige Parallelen zwischen den beiden Verfassungen, wie z.B. die Etablierung einer Präsidialrepublik und die Einführung einer Verfassungsgerichtsbarkeit. Einige Elemente dieser ersten Verfassung Südkoreas finden sich auch noch in der aktuellen Verfassung, obwohl diese in der Zwischenzeit einige Male geändert wurde. Die Verfassungsänderungen ab den 1960er Jahren lehnen sich dann teilweise an das Bonner Grundgesetz (GG) an. Eines der bekanntesten Beispiele ist die Einführung eines eigenständigen Parteienartikels im Jahr 1963. Ein wesentlicher Unterschied in der Anwendung bzw. Interpretation dieser Norm besteht sicherlich darin, dass sie in Südkorea zumindest unter den autokratischen Regierungen (1961-1988) nicht zur Stärkung der Parteien, sondern zu deren Instrumentalisierung durch die Führung genutzt wurde. 

Dies gilt übrigens auch für das Prinzip der freiheitlich demokratischen Grundordnung (FDGO), ein weiterer zentraler Begriff, der damals in Südkorea nach deutschem Vorbild eingeführt wurde. Aber auch dieses Instrument diente nicht etwa dem Schutz vor staatlichen Eingriffen oder Übergriffen, sondern wurde umgekehrt als Totschlagargument gegen jegliche Regimekritik missbraucht. Interessant und beunruhigend zugleich ist, dass auch lange nach der Demokratisierung Ende der 1980er Jahre konservative Regierungen, insbesondere die von Präsident Lee Myung-bak (2008-2013) und auch die amtierende Regierung von Präsident Yoon Suk-yeol (seit 2022), dieses Prinzip zur Rechtfertigung ihrer Regierungspolitik nutzen. Am deutlichsten wird dieser problematische Gebrauch aber wohl im Zusammenhang mit dem Verbot der Vereinten Progressiven Partei (VPP) durch die Regierung von Präsidentin Park Geun-hye im Jahr 2014. Denn im Zentrum der Argumentation der Anklage durch den damaligen Justizminister Hwang Kyo-ahn sowie der Mehrheit der Verfassungsrichter:innen stand eine angebliche Verletzung der FDGO durch die VPP. Interessanterweise hatte das Bundesverfassungsgericht knapp ein Jahr zuvor gegen ein Verbot der NPD entschieden. Natürlich sind die beiden Fälle nicht unmittelbar vergleichbar. Indirekt zeigen sie aber sehr deutlich, wie sehr ähnliche, wenn nicht identische Verfassungsbegriffe unterschiedlich, ja sogar diametral entgegengesetzt interpretiert werden können. 

Insgesamt kann man sagen, dass die koreanische Verfassung zwar gewisse Anleihen bei deutschen und anderen Vorbildern gemacht hat, aber im Laufe der Zeit eine eigene Identität und spezifische Merkmale entwickelt hat. Die Umsetzung des Rechts erfolgt in beiden Ländern auf der Grundlage der jeweiligen verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen und institutionellen Strukturen. Deshalb ist es nicht nur spannend, sondern auch äußerst fruchtbar, Vergleiche anzustellen, auch wenn man natürlich immer sehr vorsichtig sein muss, welche Schlüsse man daraus ziehen kann. 

  1. Wie wird sich Ihrer Meinung nach die Nordkoreapolitik unter der Regierung Yoon im Vergleich zur Regierung Moon entwickeln? 

Präsident Yoon und seine Regierung sind bekanntlich dem konservativen Lager zuzuordnen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass er gegenüber Nordkorea eine entsprechende Hardliner-Position einnimmt. Schon jetzt ist absehbar, dass er seine Nordkoreapolitik für den Rest seiner Amtszeit im Prinzip so gestalten wird wie seine rechtskonservativen Vorgänger. (wie ich auch hier schon angedeutet habe). Das bedeutet, dass Nordkorea erst seine Atomwaffen strecken muss, bevor sich Südkorea auch nur einen Millimeter auf Nordkorea zubewegt. Yoon hat teilweise sogar von einem Erstschlag gegen Nordkorea gesprochen, sollte es zu einem Angriff aus dem Norden kommen. Das war natürlich theoretisch, aber durchaus als Drohung gemeint. Auch im Weißbuch des Verteidigungsministeriums wird Nordkorea seit seinem Amtsantritt wieder als „Hauptfeind“ bezeichnet. Damit hat er sich klar als Hardliner positioniert. 

Dies ist freilich ein fraglicher Ansatz, wie sich in der Vergangenheit immer wieder gezeigt hat. Denn für Nordkorea sind Atomwaffen eine Versicherung, nicht angegriffen zu werden. Deshalb kann Nordkorea auf eine solche Forderung nicht eingehen. Also erst die Hosen runterlassen und dann verhandeln. Das war schon immer so, aber die Beobachtung der US-Außenpolitik, etwa im Fall Iran, als der damalige US-Präsident Donald Trump das Iran-Deal kurzerhand aufkündigte, hat die Nordkoreaner noch skeptischer gemacht. Und nicht zuletzt der russische Überfall auf die Ukraine. Denn dies war für Nordkorea eine erneute Warnung, nicht zu früh, wenn überhaupt, seine Atomwaffen abzugeben.  Deshalb wird Präsident Yoon wohl nicht weit kommen mit seiner Nordkoreapolitik, maximalen Druck auszuüben, in der Hoffnung, Kim Jong-un zurück an den Verhandlungstisch bringen. 

Natürlich ist auch richtig, dass es auch unter liberalen Regierungen wie der von Präsident Moon Jae-in keine grundlegenden Fortschritte gegeben hat. Aber immerhin wurde – bei aller gleichzeitigen Betonung der Stärkung der eigenen Verteidigung und der Abschreckung Nordkoreas – konstruktiv der Dialog gesucht. Die Akzente wurden also anders gesetzt. Nicht allein Drohung und Abschreckung stand im Vordergrund, sondern eine Balance zwischen Selbstverteidigung und Abschreckung einerseits und Annäherung und Dialog andererseits wurde angestrebt. (Übrigens nicht zufällig ganz ähnlich der ursprünglichen Neuen Ostpolitik Deutschlands gegenüber Ostdeutschland bzw. Russland seit den 1970er Jahren, über die ich hier schreibe.) Und natürlich braucht ein solcher Ansatz Zeit, um Früchte zu tragen. Ergebnisse sind nicht innerhalb weniger Jahre zu erwarten. Vertrauensbildung will Weile haben (wie ich u.a. auch hier argumentiere). Das soll kein Persilschein für die Nordkoreapolitik von Präsident Moon sein, es gibt sicher vieles, was man hätte besser machen können und müssen, aber der grundsätzliche Ansatz von Moon entspricht viel eher dem Selbstverständnis Südkoreas als freiheitliche Demokratie. Präsident Yoon spricht zwar auch gerne und daher häufig von der Wertepartnerschaft mit anderen liberalen Demokratien, aber was er darunter versteht, scheint doch etwas anderes zu sein. (So argumentiere ich zumindest hier.). 

Was ist von der Regierung Yoon für den Rest der Amtszeit zu erwarten? Sie wird sicherlich den eingeschlagenen Kurs fortsetzen. Das heißt, alles auf die Karte einer starken westlichen Allianz zu setzen. Das heißt, eine sehr starke Bindung an die USA und Japan. Und ein bisschen Wertepartnerschaft mit der Europäischen Union und ihren Mitgliedsstaaten. Dass die Regierung inzwischen ein relativ klares Bekenntnis zur Solidarität mit der Ukraine abgegeben hat (wie ich u.a. auch hier argumentiere), ist sicher richtig und alternativlos, aber China ohne Not immer wieder vor den Kopf zu stoßen, während selbst die USA und die EU politisch und wirtschaftlich eher ein De-Coupling als ein De-Risking betreiben, halte ich für problematisch. Dies wird sich langfristig auch negativ auf die koreanisch-chinesischen Beziehungen auswirken, was wiederum kontraproduktiv für eine positive Einflussnahme auf Nordkorea ist. 

  1. Deutschland und Südkorea sind zweifellos wichtige Partner in verschiedenen Bereichen. In welchem Bereich wird sich diese Zusammenarbeit Ihrer Meinung nach in Zukunft am schnellsten entwickeln? 

Tatsächlich gibt es bereits viele erfolgreiche Kooperationen zwischen deutschen und südkoreanischen Forschungseinrichtungen, Universitäten und Unternehmen. Beide Länder haben ähnliche Schwerpunkte in den Bereichen erneuerbare Energien, Digitalisierung, künstliche Intelligenz, Medizintechnik und Industrie 4.0. Ich kann mir gut vorstellen, dass sich die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Südkorea in den Bereichen Wissenschaft und Technologie am schnellsten weiterentwickeln wird. Beide Länder haben eine starke Tradition und Expertise in der Forschung und Entwicklung, und sie sind gleichermaßen bestrebt, Innovationen voranzutreiben und in Zukunftstechnologien zu investieren. Durch die Förderung des Austauschs von Wissen, Technologien und Fachkräften können Deutschland und Südkorea ihre Innovationskraft weiter stärken und gemeinsam Lösungen für globale Herausforderungen finden. Der Wissensaustausch und die Zusammenarbeit in der Forschung und Entwicklung könnten auch dazu beitragen, neue Geschäftsmöglichkeiten für Unternehmen beider Länder zu schaffen und die Wettbewerbsfähigkeit auf internationaler Ebene zu steigern. 

Darüber hinaus könnten auch gemeinsame Projekte in den Bereichen Klimawandel, Umweltschutz, nachhaltige Entwicklung und Gesundheitswesen an Bedeutung gewinnen. Beide Länder haben ein großes Interesse an der Bewältigung globaler Herausforderungen, und ihre Zusammenarbeit könnte dazu beitragen, innovative Lösungen zu finden und Best Practices auszutauschen. Außerdem ist jüngst noch ein weiterer wichtiger Bereich der Kooperation hinzugekommen: die Zusammenarbeit in der Sicherung einer regelbasierten internationalen Ordnung. Sowohl Deutschland als auch Südkorea haben in ihren neuesten Strategiepapieren zur Außen- und Sicherheitspolitik deutlich gemacht, dass sie in Zukunft noch größeres Gewicht auf eine Wertepartnerschaft in diesen Fragen legen werden (wie ich auch hier schreibe). Auch wenn sich Südkorea in seiner Außenpolitik immer schon auf die Kooperation mit den USA konzentriert hat, gehört jetzt auch Deutschland als wichtiger Akteur der Europäischen Union zu den noch engeren Partnern. Umgekehrt ist auch für Deutschland und die EU das ferne Ostasien immer wichtiger in der internationalen Zusammenarbeit. Folglich lässt sich mit einiger Gewissheit sagen, dass diese Kooperation in Zukunft zunehmen wird. 

  1. Wie sind Sie mit dem Deutsch-Koreanischen Juniorforum verbunden und welches Potenzial sehen Sie im Forum? 

Von 2013 bis 2019 war ich für die Organisation und Durchführung des Deutsch-Koreanischen Juniorforums auf deutscher Seite verantwortlich. (Seit 2020 bin ich weiterhin beratend tätig und in die Vorbereitungen eingebunden). Das heißt, ich habe mich gemeinsam mit Kolleg:innen und in Absprache mit der Organisation des Seniorenforums neben der Konzeption und Planung auch darum gekümmert, dass wir deutschlandweit möglichst viele verschiedene junge Menschen für die Teilnahme an den Juniorforen in Deutschland und Südkorea gewinnen. Und natürlich habe ich auch Diskussionen während der Treffen mit den Teilnehmern aus Südkorea und Deutschland begleitet. Es hat mir immer sehr viel Spaß gemacht, in diesen Teams zu arbeiten, zuzuhören und die Debatten zu moderieren. Natürlich war es jedes Mal eine Herausforderung, die inhalts- und lehrreichen Diskussionen aus den Untergruppen und dem Plenum der Juniorforen schließlich in einer kleinen Gruppe in eine kompakte Form zu bringen, bevor es dann im Seniorforum präsentiert wurde. Der Lohn waren jedoch jedes Mal hervorragende Ergebnisse, die auch im Hauptforum und von unseren Adressaten entsprechend gewürdigt wurden.  

Ich freue mich sehr, dass sich das Juniorforum in den letzten Jahren so kontinuierlich und stark entwickelt hat. Junge Menschen aus beiden Ländern regelmäßig auf diese Weise zusammenzubringen, ist eine wunderbare und notwendige Institution des interkulturellen Austauschs zwischen Deutschland und Südkorea. Auch wenn es immer nur ein paar Tage sind, an denen man sich trifft und Gedanken und Ideen austauscht, so entstehen doch erste und/oder vertiefte Kontakte, Erfahrungen, Netzwerke und Freundschaften. Dies sind wichtige Voraussetzungen für das Entstehen einer neuen Generation deutsch-koreanischer Verständigung. 

  1. Welchen Rat würden Sie jungen Menschen geben, die sich beruflich mit der Koreaforschung beschäftigen wollen? 

Es versteht sich von selbst, dass eine gründliche Kenntnis der koreanischen Kultur, Geschichte, Gesellschaft und Politik unerlässlich ist, um ein fundiertes Verständnis für die Forschungsarbeit zu entwickeln. Man sollte viele Bücher, Artikel und wissenschaftliche Arbeiten zu diesen Themen lesen und (dadurch) in die koreanische Kultur eintauchen. Dafür ist natürlich das Erlernen der koreanischen Sprache eine wichtige Voraussetzung, auch wenn es glücklicherweise mittlerweile eine breite und qualitativ hochwertige Literatur auch in anderen Sprachen als Koreanisch gibt. Die Beherrschung der koreanischen Sprache ermöglicht jedoch den Zugang zu originalsprachlichen Quellen, was logischerweise nicht nur eine tiefere kulturelle Verbindung, sondern auch den Austausch und die Zusammenarbeit mit koreanischen Forscher:innen und Institutionen erleichtert. 

Hilfreich ist es, sich mit Gleichgesinnten und Expert:innen auf dem Gebiet der Korea-Forschung zu vernetzen. Auf Konferenzen, Workshops und anderen Veranstaltungen kann man sein Wissen erweitern und Kontakte knüpfen. Im besten Fall erweitert ein Studium oder ein längerer Auslandsaufenthalt in Südkorea den Blickwinkel und die Expertise. Die direkte Erfahrung mit der koreanischen Kultur und Gesellschaft ermöglicht es, tiefer in die Materie einzutauchen und ein breiteres Verständnis zu entwickeln. Das kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen. Bis zu meiner Promotion an der Seoul National University habe ich insgesamt rund acht Jahre in Südkorea gelebt. Vor den vier Jahren des Promotionsstudiums habe ich einen Sprachkurs an der Yonsei Universität und ein Praktikum in einer Sozialeinrichtung für Arbeitsmigrant:innen gemacht. Danach habe ich für ein deutsches Unternehmen (siehe oben) und für eine südkoreanische Zeitung gearbeitet. Während meiner Promotion habe ich auch bei einem Radiosender gearbeitet. Das waren alles großartige Erfahrungen, die mir geholfen haben, ein Gefühl für das Land und seine Gesellschaft zu bekommen. 

Die Koreaforschung ist ein sich ständig weiterentwickelndes Feld und es ist wichtig, neugierig und offen für neue Forschungsfelder und Fragestellungen zu bleiben. Man sollte sich über aktuelle Entwicklungen auf der koreanischen Halbinsel auf dem Laufenden halten und überlegen, wie die eigenen Forschungsinteressen dazu passen könnten. Gleichzeitig sollte man den Blick über den Tellerrand nicht vergessen, denn die Koreaforschung ist immer auch Teil verschiedener Disziplinen wie Politikwissenschaft, Geschichte, Ökonomie, Kulturwissenschaft und Soziologie. Und ein interdisziplinärer Ansatz kann dazu beitragen, vielfältige Einsichten und innovative Ansätze zu entwickeln. Die Koreaforschung ist ein faszinierendes und wichtiges Feld, das sich ständig weiterentwickelt. Und diese Entwicklung hängt in hohem Maße vom Nachwuchs ab, der mit seinen Beiträgen entscheidend dazu beiträgt, unser Wissen über Korea und seine Beziehungen zur Welt zu erweitern. Nicht zuletzt gilt aber auch für die Koreaforschung, was für jedes Forschungsgebiet gilt vor allem eines: Ausdauer und Leidenschaft für das Thema sind wichtig. 

  1. Welche zukünftigen Forschungsprojekte streben Sie an? Gibt es etwas, worauf Sie sich besonders freuen und könnten Sie uns etwas darüber erzählen? 

Zum Wintersemester 2023/24 öffnet das Graduiertenkolleg „East Asian Futures“ als gemeinsames Projekt der Universitäten Duisburg-Essen und Bochum seine Pforten. Hier werden Doktorand:innen interdisziplinär zu Zukunftsvorstellungen in Ostasien forschen. Die Dissertationsprojekte untersuchen, wie Zukunftsprojektionen und -vorstellungen entstanden sind, auf welchen Prämissen sie beruhen und wie sie auf die paradigmatischen Bereiche (1) Sprache, Religion und Ideologie, (2) Selbst und Gesellschaft, (3) Ressourcen und Technologie sowie (4) Souveränität und Governance angewandt wurden und werden. Auch sind bereits mindestens zwei Korea-bezogene Doktorand:innen für das voll finanzierte Promotionsprogramm ausgewählt worden. Das wird sicher sehr spannend zu betreuen und zu begleiten sein.  

Ein weiteres Forschungsfeld, das mich derzeit beschäftigt, ist die Frage, wie sich Populismus in Ostasien manifestiert. Populismus ist ein riesiges Forschungsfeld, das weltweit betrieben wird und sowohl quantitativ als auch qualitativ bereits unglaubliche Ausmaße angenommen hat. Aber wenn es um die Region Ostasien geht, zeigt sich immer wieder, dass die Frage, ob es dieses Phänomen überhaupt gibt, noch lange nicht geklärt ist. Wenn es, wie meine Kollegen und ich annehmen, in den ostasiatischen Demokratien (Südkorea, Taiwan, Japan) keinen Populismus gibt, dann stellt sich die spannende Frage, warum das so ist. Damit beschäftigen wir uns seit kurzem in einem internationalen Forschungsprojekt, das am IN-EAST der Universität Duisburg-Essen angesiedelt ist.