(Von Philipp Meyer )
Im Rahmen unserer Studienreise nahm auch dieses Mal ein Teil der Delegation an einer Exkursion in die Demilitarisierten Zone (DMZ) teil. Die DMZ stellt ein historisches Relikt aus der Epoche des Koreakriegs dar und dient entlang des 38. Breitengrades als innerkoreanische Grenze, durch welche die militärische Demarkationslinie verläuft. Sie erstreckt sich daher über eine Distanz von 248 Kilometern, beginnend am Gelben Meer im Westen und endend am Ostmeer, wodurch sie einmal die gesamte koreanische Halbinsel in ihrer Längenausdehnung durchzieht. Im Rahmen von geführten Touren ist es für Besucher möglich, bestimmte Orte in der DMZ zu besichtigen. In Anbetracht des übergeordneten Themas dieser Studienreise werden auch die Beweggründe eines Besuchs der Demilitarisierten Zone als Programmpunkt klar ersichtlich. An kaum einem anderen Ort in Korea manifestiert sich ein multilateraler Einfluss derart deutlich und nachvollziehbar wie an diesem geografischen Standort. Die Vereinten Nationen spielen eine zentrale Rolle bei der Überwachung und Unterstützung der DMZ-Aktivitäten, was in besonderem Maße durch das Beispiel des United Nations Command (UNC) illustriert wird.
Die symbolische Bedeutung dieses Ortes ist sowohl in der inner-koreanischen als auch in der internationalen Politik von großer Wichtigkeit. Dies wurde in der Vergangenheit deutlich, als sich sowohl der ehemalige südkoreanische Präsident Moon Jae-in als auch der damalige US-Präsident Donald Trump in Panmunjeom mit Kim Jong-un trafen. Die blauen Häuser in diesem Gebiet können von beiden Seiten, also sowohl von Nord- als auch von Südkorea, betreten werden, wodurch es den Staatsoberhäuptern symbolisch ermöglicht wurde, sich auf beiden Seiten gegen-überzustehen.
Ausgangspunkt unserer Reise war am frühen Morgen die Hongik University Station in Seoul, von wo aus wir per Bus rund 50 Kilometer in Richtung Norden fuhren und zugleich an der ersten Station der Tour ankamen – in Imjingak. Zunächst einmal sammelten sich dort die Tourbusse auf einem weitläufigen Parkplatz, an dem auch ein Besucherzentrum mit Seilbahn sowie mehrere gastronomische Angebote sowie ein Freizeitpark angegliedert sind. Des Weiteren befindet sich in Imjingak die Freiheitsbrücke, welche während des Koreakrieges zum Gefangenenaustausch genutzt wurde, sowie mehrere Altäre und Gedenkstätten. Sie bieten die Möglichkeit zum Innehalten und ermöglichen es Angehörigen außerdem um ihre Familienmitglieder und geliebten Menschen im Norden zu trauern. Am Grenzzaun sind aus diesem Grund auch unzählige Schleifen angebracht, auf denen Nachrichten und Wünsche für die sich im Norden befindenden Familienmitglieder geschrieben wurden. Auf den ersten Blick erscheint es durchaus irritierend, dass ausgerechnet an einem solchen Ort des Gedenkens auch ein Freizeitpark zu finden ist. Bei genauer Betrachtung ist dies aber durchaus logisch, denn es bietet den Familien die Möglichkeit, ihre Kinder abzulenken und zu beschäftigen, während die anderen Familienmitglieder trauern.
Um die Demilitarisierte Zone von Imjingak aus zu erreichen, muss der Imjin-Fluss überquert werden, was der Delegation erstmals die beeindruckende Militärpräsenz am Zugang zur DMZ vor Augen führte. Während der Ein- und Ausreise aus der DMZ unterziehen sich alle dort ankommenden Tourbusse jeweils einer gründlichen Passkontrolle durch die anwesenden Soldaten, ein Routineprozess, der die Ernsthaftigkeit der Sicherheitsmaßnahmen hier verdeutlicht.
Nach dem reibungslosen Durchlaufen dieses Prozesses erreichten wir das Dora-Observatorium, von dessen Aussichtsplattform aus wir die Region mit Hilfe von Ferngläsern erkunden konnten. Bei idealen Wetterbedingungen bot sich uns die Möglichkeit, das nordkoreanische Propaganda-Grenzdorf Kijong-dong, den Kaesong-Industriekomplex und die beiden mächtigen Flaggenmasten mit den Flaggen Nord- und Südkoreas zu beobachten. Auf der nordkoreanischen Seite war es uns sogar möglich, Aktivitäten von Feldarbeitern, Fahrradfahrern und scheinbar unbeschwerten Spaziergängern zu verfolgen. Ob dieser Einblick aus der Distanz jedoch einen realen Einblick in das Alltagsleben der dort ansässigen Bevölkerung widerspiegelt, darf bezweifelt werden.
Weiterhin bot das Dora-Observatorium eine informative Ausstellung, die die Geschichte der DMZ in chronologischer Reihenfolge präsentierte. Diese Ausstellung vermittelte tiefe Einblicke in die historischen Ent-wicklungen und Hintergründe dieser einzigartigen Grenzregion.
Im weiteren Verlauf unserer Exkursion erkundeten wir außerdem den dritten Infiltrationstunnel, einen von Nordkorea angelegten Tunnel, der ursprünglich für militärische Infiltrationszwecke in Richtung Südkorea konzipiert wurde. Erreichen die Besucher im gebückten Gang das für sie bestimmte Ende des Tunnels, befinden sie sich nur noch rund 170 Meter von der Demarkationslinie entfernt. Es sei darauf hingewiesen, dass im gesamten Tunnel das Fotografieren und das Anfertigen von Videoaufnahmen aus Sicherheitsgründen nicht gestattet war. Im benachbarten Besucher-komplex hatten wir außerdem die Gelegenheit, einen Film zu sehen, der sich sowohl mit den positiven Aspekten der innerkoreanischen Beziehungen und einer möglichen Wiedervereinigung befasst, als auch die Vorzüge der DMZ hervorhebt und sich auf deren vielfältige Flora und Fauna konzentriert. Eindrucksvoll ist zudem die „Unifying Earth Skulptur“, die vor Ort zu bewundern ist und symbolisch den Prozess einer koreanischen Wiedervereinigung darstellt.
Unser letzter Halt auf dieser spannenden Exkursion führte uns ins Dorf Tongilchon. Bereits auf dem Weg dorthin wurde deutlich, dass die DMZ nicht nur eine militarisierte Grenzregion und ein Symbolort ist, sondern auch ein Zuhause für Menschen, die hier ihren Alltag bestreiten.
In der DMZ zu leben und zu arbeiten ist tatsächlich möglich und dies spiegelt sich in der vorhandenen Infrastruktur des Ortes wider. Es gibt ein Restaurant, einen Supermarkt und sogar eine Grundschule. Ein Leben in der DMZ ist allerdings von besonderen Regeln geprägt. Die Bewohner sind an ihren Wohnort gebunden, wobei eine registrierte Ausreise möglich ist. Gleichzeitig sind sie auch vom Wehrdienst und der Steuerpflicht befreit. Die wirtschaftliche Ausrichtung der DMZ konzentriert sich vor allem auf den landwirtschaftlichen Sektor, dessen Erzeugnisse eine besonders hohe Qualität nachgesagt werden. Uns wurde erklärt, dass durch dieses Qualitätssiegel und die Befreiung von der Steuerpflicht eine Tätigkeit in der Landwirtschaft dort auch besonders lukrativ sei. Wir nutzten unseren Aufenthalt in dieser einzigartigen Umgebung außerdem, um weiteres Material für unsere Dokumentation zu sammeln. Nachdem wir unsere letzten Eindrücke festgehalten hatten, traten wir wieder die Rückreise nach Seoul in unserem Tourbus an. Während der etwa einstündigen Fahrt hatten wir ausreichend Zeit, die eindrucksvollen Erlebnisse und Impressionen zu reflektieren.
Insgesamt erlebten wir eine sehr spannende Exkursion, welche allerdings unweigerlich auch viele Fragen aufgeworfen hat. Inwieweit ist es beispielsweise moralisch vertretbar, einen Ort, der mit so viel Leid verbunden ist, so kommerziell zu vermarkten, wie es aktuell der Fall ist? Besonders am Dora-Observatorium und im Imjingak-Park habe ich mir diese Frage gestellt und sie auch immer wieder mit den Mitreisenden unserer Delegation thematisiert. Es kam mir oft so vor, als würde man die innerkoreanische Teilung und die Nähe zu Nordkorea aus kommerziellen Gründen verklären. Dennoch wurde uns eine spannende und interessante Erfahrung zuteil, welche auch im Hinblick auf unser Oberthema einen besonders wertvollen Beitrag leisten konnte.